Die umtriebige Jazz-Bassistin Judith Ferstl ist beim Interview für die Kulturfüchsin sichtlich gut gelaunt: endlich ist der Lockdown zu Ende! Ferstl war gerade auf einer kurzen Tournee durch Österreich und erzählt begeistert von den Konzerten und ihrer Freude darüber, dass der Austausch mit dem Publikum und den Musikerkollegen wieder möglich geworden ist. Vor allem aber ist sie stolz, ihr jüngstes Projekt „June in October“ – mit dem sie vor kurzem ihr Debütalbum und ein Video veröffentlicht hat – präsentieren zu können. Ein Gespräch über Anfänge, die schwierige Zeit während des Shutdowns für Kunst & Kultur sowie spannende Projekte zwischen Jazz, Worldmusic, Pop und Kammermusik.
Du bist neben deiner Tätigkeit im Bereich Komposition in erster Linie Kontrabassistin. Wie bis du zum Bassspielen gekommen?
Ich habe lange Zeit Geige gespielt. Dann ist in meinem Schulorchester der Kontrabassist ausgefallen, weil er Matura gemacht hat. So kam die Frage auf, wer will Kontrabass lernen? Sonst hätten wir niemanden am Bass in diesem Ensemble gehabt. Dadurch bin ich quasi zufällig zum Kontrabass gekommen – ein Klassiker (schmunzelt)! Mein Bruder hat zu dieser Zeit bei einem Gitarren- und Basslehrer Jazzgitarre gelernt und so bin ich beim Jazz gelandet. Parallel dazu habe ich aber noch bis zur Matura weiter Geige gespielt.
Für MusikerInnen im Jazz ist der Bass ja immer noch ein eher ungewöhnliches Instrument oder?
Da ich öfters auf mein Instrument angesprochen werde, scheint das für viele anscheinend schon noch etwas Besonderes zu sein. Für mich selbst ist das aber längst nichts mehr Ungewöhnliches, vor allem, weil es in Wien derzeit so viele spannende Bassistinnen gibt, wie zum Beispiel Gina Schwarz, Beate Wiesinger und Helene Glüxam, die in der Jazz-Szene sehr präsent sind.
Welchen Ausbildungsweg hast du nach der Schule weiter bestritten?
Ich habe angefangen am Konservatorium der Stadt Wien – das heutige MUK – Klassik und Jazz zu studieren. Nach zwei Jahren aber mein Klassik-Studium beendet, um mich mehr auf Jazz zu konzentrieren. Abschließend war ich noch an der Bruckner Uni Linz, um mein IGP-Studium zu machen. Vor zwei Jahren konnte ich mein Master-Studium an der MDW (Universität für Musik und darstellende Kunst) abschließen. Insgesamt waren das circa zehn Jahre Studium mit einem Jahr Pause. Einer meiner Lehrer, neben vielen anderen, war beispielsweise Peter Herbert.
Du bist seit dem ziemlich umtriebig und mit verschiedenen Bands in ganz unterschiedlichen Genres tätig. Kannst du uns etwas über ein paar deiner Projekte erzählen?
Neben JUNE IN OCTOBER, bin ich derzeit sehr aktiv mit CHUFFDRONE. Das sind meine zwei Hauptprojekte. Zusätzlich spiele ich noch in der Band von ORWA SALEH mit – einem Oud-Spieler aus Syrien. Mit dabei ist auch Basma Jabr, eine Sängerin aus Syrien. Daneben gibt es noch ein paar andere Projekte wie zum Beispiel ein Kinderliederprogramm. Mit der relativ neuen Gruppe MERVE spielen wir ein Programm, das sich rund um Märchen und Mythen dreht. Ein Quartett mit Klarinette, Saxophon, Bratsche und Kontrabass, für das ich im letzten Jahr ein gesamtes Konzertprogramm komponiert habe. Aktuell war ich gerade auf einer sehr schönen, kurzen Tour mit dem ORJAZZTRA von Christian Muthspiel.
Wie war es nach der langen Coronapause endlich wieder Live-Konzerte geben zu können?
Es war wirklich schön wieder auf Tour zu sein und bei Open-Air-Konzerten vor vielen Menschen aufzutreten. Das waren noch alles Sitzkonzerte, aber nahe beieinander und ohne Maske. Das war vom Gefühl her besser als die Zeit, wo es nur diese beschränkte Öffnung gab und alles eher ein bisschen gehemmt war. Es war eine Freude, wieder Gesichter im Publikum zu sehen. Es ist auch schön zu erleben, wenn die Leute sich wieder so richtig darauf freuen, Musik zu hören. Auch wenn ich selbst wieder auf Konzerte gegangen bin, war es sehr fein zu merken, wie wichtig Musik in meinem Leben ist; der Moment, wenn du den Club oder das Lokal betrittst, dich hinsetzt und die Musik auf dich wirken lässt; wenn du Menschen um dich herum hast, dich in der Pause mit anderen Besuchern unterhältst, einfach eine gute Zeit verbringst. Aber auch die ersten Proben nach der Zeit der Isolation im „Lockdown“ waren ein intensives Erlebnis.
Mit welcher Entwicklung rechnest du in der nächsten Zeit?
Sobald die Intensivbetten wieder überfüllt sind, bin ich sofort auf der Seite derer, die wieder einen Lockdown unterstützen. Doch darüber hinaus hat man seit dem Beginn der COVID-Pandemie schon gemerkt, wo in der Politik die Prioritäten liegen. Es ist natürlich anstrengend zu sehen, dass Kunst und Kultur beziehungsweise Musik auf der Liste sehr weit unten rangieren. Aber es tut sich auch etwas in die Richtung, dass man Kultur wieder mehr Wertschätzung entgegenbringt. Auch Musiker selbst, die sehr aktiv und viel auf Tour sind, schätzen Ihre Arbeit wieder viel mehr. Das hat bei mir schon noch mal was verändert.
Was hat diese Zeit im „Lockdown“ bei dir persönlich ausgelöst?
Zu Beginn habe ich es wirklich genossen, einmal Ruhe zu haben. Als selbstständige Musikerin ist man andauernd in so einer Art Hamsterrad drinnen, wo man ständig nur am Termine ausmachen, Projekte koordinieren, proben und Konzerte spielen etc. ist. Da war eine Pause schon sehr angenehm. Aber irgendwann habe ich zu überlegen angefangen, ob ich nicht vielleicht etwas anderes machen möchte? Da kam ich aber sehr schnell zu dem Punkt: nein, ich will nichts anderes als Musik machen! Und so sind wieder gleich Ideen für neue musikalische Projekte entstanden. Ich beteilige mich nur an Bands, wo ich wirklich gerne dabei bin.
Siehst du aktuell durch die COVID19-bedingte lange Pause in Kunst und Kultur ein Überangebot an neuen Alben beziehungsweisen Konzerten?
Es ist im Moment ein bisschen schwierig, etwas Neues zu bringen. Alles was es schon länger gibt, funktioniert leichter – auch von den Konzerten her, wo noch viel vom letzten Sommer beziehungsweise vom letzten Jahr nachgeholt wird. Ich denke, wenn ich jetzt gerade als Musikerin am Anfang stünde, wäre es echt schwierig. Ein Problem ist auch, dass es so viel Neues gibt, weil die meisten Musiker den Lockdown dazu benützt haben, um Neues zu produzieren. Dadurch ist jetzt ein Art Stau an neuen Releases entstanden. Ich hoffe, dass für das alles genug Platz existiert. Gleichzeitig ist es irrsinnig schön zu sehen, dass so viel neue, interessante Musik veröffentlicht wird.
Kannst du uns noch etwas über deine neue Band JUNE IN OCTOBER erzählen? Du hast soeben dein erstes Debütalbum veröffentlicht…
Ich hatte lange ein Duo mit der Sängerin Lucia Leena. Durch mein Masterstudium habe ich die Möglichkeit bekommen ein Projekt zu machen und mich dazu entschieden, eine eigene Band zu gründen. Ich wollte gerne Lucia aber auch Florian Sigharter (Violine) und Carles Muñoz Camarero (Cello) dabei haben, weil ich alle drei total schätze. Zuvor hatte ich mir überlegt welche Instrumente ich dabei haben möchte. Wichtig war für mich diesmal ohne Schlagzeug und ohne Harmonieinstrumente zu spielen. Mit diesem Ansatz wollte ich ganz bewusst etwas machen, was ich bis jetzt in einem Bandformat noch nie getan habe. Die Musik ist ein Mittelding zwischen Jazz, Pop und Kammermusik. Bei JUNE IUN OCTOBER bin ich auch zum ersten Mal die Bandleaderin.
Wie hat sich die Band/ das Projekt bis dato entwickelt?
Das Duo hat sich 2014 gegründet, mit June in October haben wir 2017 gestartet und erst noch nicht viele Konzerte gespielt, sondern langsam den Bandsound entwickelt. Auch der song-orientiertere Ansatz bei JUNE IN OCTOBER war für mich etwas Neues. Das Schreiben der Texte war ein sehr spannender Prozess, wo Lucia meistens noch mitarbeitet beziehungsweise verwende ich auch Texte von anderen wie zum Beispiel dem US-Schriftsteller E.E. Cummings. Mein Ziel war, dass die Musik, sobald Bass und Streicher zu hören sind, nicht nur so eine Art weite, ruhige Fläche wird. Ich wollte schauen, was fehlt, wenn kein Schlagzeug dabei ist. Wie kann ich das durch andere Instrumente ersetzen? Deshalb haben wir bei den Arrangements vieles ausprobiert. Zum Beispiel bei „Put The Lights Out“, dem ersten Stück auf unserem Album, war die Grundidee, das Schlagzeug auf die Streicher aufzuteilen, also im Sinn von wo wäre welcher Schlag auf welchem Instrument. Ein paar wichtige Akzente werden auch durch das Pocket-Piano von Lucia gesetzt. Sie hat dieses ungewöhnliche Instrument bei einer Reise in New York gekauft.
Wie war deine Rolle als Produzentin bei dem Album?
Bei anderen Bands haben wir eigentlich immer gemeinsam produziert. Diesmal sind zum ersten Mal alle Fäden bei mir zusammengelaufen. Dadurch konnte ich viel lernen. Besonders der Mix des Albums, den David Furrer gemacht hat, war sehr interessant. Wir haben viel hin- und her überlegt. Ein wichtiger Einfluss ist das aktuelle Album der US-Crossover-Band Punch Brothers „All Ashore“ gewesen. Wir haben uns den Mix dieses Albums sehr genau angehört und uns stark daran orientiert. Wir wollten den Sound besonders „warm“ und „nahe“ gestalten. Ein Sound mit der Möglichkeit, sich so richtig reinzukuscheln (schmunzelt). Mir ist bei diesen Aufnahmen im Studio erst richtig klar geworden, welchen großen Unterschied der endgültige Mix noch ausmachen kann.
Kannst du noch etwas zum Video zu „My Feet On Solid Ground“ und dem Dreh dazu erzählen?
Das Video haben wir mit Unterstützung von Bernd Faszl und Simon Zauner im „Kulturcafé Max“ vom Kulturverein SHIZZLE in Hernals gedreht. Die Idee hinter dem Video war, dass man uns als Band am Anfang alle nur vom Profil her sieht, dann erst als Gruppe und das Bild dabei immer klarer wird und der Blick immer näher heran rückt – so wie sich auch das Stück langsam aufbaut. Auch passend zum Titel: ist man schon auf Solid Ground oder nicht? Außerdem wollten wir für den Video-Dreh unbedingt eine Confetti-Maschine für die Slow-Motion-Aufnahmen dabei haben. Wir haben sogar kurz Musik von Britney Spears aufgedreht, um die Stimmung zu steigern (schmunzelt).
Abschließend vielleicht noch die Frage: was tust du, wenn du dich nicht gerade mit Musik beschäftigst?
Ich lese gerne Wochenzeitungen wie zum Beispiel den Falter. Ich mag es, mich gemütlich auf den Balkon zu setzen und in Ruhe längere Reportagen, Berichte oder Kommentare zu lesen. Ich informiere mich durch das Lesen gerne über den Standpunkt von anderen Personen zu verschiedenen Themen. Gerne lese ich auch Bücher und wenn ich Zeit habe, gehe ich gerne spazieren. Seit zwei Jahren wohne ich im 23. Bezirk in der Nähe vom Liesingbach. Diese Gegend gefällt mir sehr gut, da fühle ich mich wohl und kann gut relaxen.
Danke für das Interview!
Veranstaltungstipp:
Ferstl Live: 26. September in der Serie „Sonntagskind“ @ Kulturcafe Max, 1170 Wien
Zur Person: Judith Ferstl studierte Bass am MUK Wien und der Bruckner Universität Linz. Ihr Masterstudium hat sie 2019 an der MDW abgeschlossen. Sie ist hauptsächlich in Bands in der Jazz- und Worldmusic-Szene tätig. Ihre neueste Formation heißt „June in October“ und hat vor kurzem das gleichnamige Debutalbum veröffentlicht (2021, Session Work Records)
Titelbild: June in October v.li.n.re Judith Ferstl, Carles Muñoz Camarero, Lucia Leena, Florian Sigharter © Georg Buxhofer
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